Das ist eine Streitschrift von mir als Politikwissenschaftler zum außenpolitischen Teil des Koalitionsvertrages zwischen SPD, FDP und der Partei der Grünen.

Mit dem Anspruch „Mehr Fortschritt wagen“ ist der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen übertitelt. Doch mit diesem Inhalt im außenpolitischen Teil, im Bund mit ideologischen Eiferern, die ihn umsetzen werden, da wird der Schuss nach hinten losgehen.
Dieser Koalitionsvertrag, diese Handlungsanweisung für die nächsten Jahre nimmt in keiner Weise das Erbe der „Politik der friedlichen Koexistenz“ an, im Gegenteil, er schlägt das Erbe aus, was im letzten Jahrhundert uns das Leben in Frieden und Freiheit ermöglichte! Man schuf etwas Neues – die „Werteorientierte Außenpolitik“.

Thema: Grundsätzliches
„Die deutsche Außenpolitik soll aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten, um die Kohärenz unseres internationalen Handelns zu erhöhen. Gemeinsam mit unseren Partnern, auch aus der Zivilgesellschaft, werden wir uns für die Bewahrung unserer freiheitlichen Lebensweise in Europa und den Schutz von Frieden und Menschenrechten weltweit einsetzen. Dabei leiten uns unsere Werte und Interessen.“ (Koalitionsvereinbarung S 143)
 
Frau Baerbock, zukünftige Außenministerin Deutschlands, sei hier zitiert: „Für mich ist eine wertegeleitete Außenpolitik immer ein Zusammenspiel von Dialog und Härte.“ (Interview mit dem Sender n-tv vom 01.12.21 gegen 19:00 Uhr)
Frage, ist diese Haltung der zukünftigen Außenministerin vom Koalitionsvertrag gedeckt?
 
Es scheint wohl ein Generationenproblem der heutigen politischen Akteure (Politiker, Journalisten und Politikberater) zu sein, die beseelt von der ewigen Strahlkraft des Westens, berauscht von dem Gedanken andere globale Mächte sind unfähig den gleichen Wirtschaftserfolg und die gleiche militärische Stärke erlangen zu können, wie man sie selbst hat, gar nicht daran denken können, dass andere Globalplayer sie in Wissenschaft, Technik und speziell Militärtechnik überholen könnten! Die also immer noch den Traum von der einstigen verbliebenen Supermacht träumen. Dialog und Härte, das ist ein sehr gefährliches Spiel. Wer das Spiel von Härte und Dialog spielen will, der muss die Möglichkeit haben Härte aufbringen zu können und dann immer noch sicher sein, dass die andere Seite überhaupt noch zu einem Dialog bereit ist!
 
Eine werteorientierte Außenpolitik muss man bezahlen können und die Macht dazu haben, dies gemäß seinen Vorstellungen auch durchzusetzen. Wer das nicht kann ist ein Träumer und schwadroniert nur gerne über Möglichkeiten, die er gar nicht besitzt. Bismarck – „Politik ist die Kunst des Möglichen.“ Damit stellt sich die Frage, wie weit sind die heutigen ideologischen Eiferer von dieser Kunst entfernt? Deutschland benötigt wahrlich keine weiteren, der Welt entrückten Globalpolitiker wie Kaiser Wilhelm den II.
Und neben solch einer unrealistischen Sichtweisen auf die Welt kommt erschwerend für die Bildung stabiler internationaler Beziehungen hinzu das stete Suchen nach den Schandtaten des anderen, das genüssliche auflisteten all seiner Fehler. Das vergiftet die Atmosphäre zwischen den Völkern, es wirkt kriegstreibend! Aber es ist davon auszugehen, unsere neue Regierung ist sich der Konsequenzen der werteorientierten Außenpolitik bewusst.
 
Thema: Multilateralismus und Bündnisformung
„Ziel ist eine multilaterale Kooperation in der Welt, insbesondere in enger Verbindung mit denjenigen Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen. Dabei geht es auch um den Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten und eine strategische Solidarität mit unseren demokratischen Partnern.“ (Koalitionsvereinbarung S 143)
 
Im Zusammenhang mit der Umformung der Außenpolitik, also weg von der Politik der friedlichen Koexistenz hin zur werteorientierten Außenpolitik, wurde der Begriff des Multilateralismus seines Inhaltes beraubt. Diese Akteure sprechen schon von einem Multilateralismus, wenn sich die Gleichgesinnten zum Handeln zusammenfinden. Mit Verlaub, das ist trivial! Die Menschheit braucht zur Lösung ihrer Probleme wie dem Klimawandel, der Wanderung von sehr großen Menschengruppen das Zusammenwirken all derer, die an diesen Problemen beteiligt sind und zur Lösung beitragen können und das schließt auch die ein, deren Werte man nicht teilt! Das war gute alte Tradition und Erbe der Politik der friedlichen Koexistenz! Alles andere ist doch „Multilateralismus-light“, der Zusammenschluss der Gleichgesinnten.
 
Wie dem Zitat zu entnehmen ist, bekommt der „Multilateralismus-light“ eine Richtung, im Ziel der Politik und der Bündnisbildung, wenn vom Systemwettbewerb mit den autoritär regierten Staaten geschrieben wird. Sprechen wir es aus, es geht um den Kampf bzw. Wettbewerb gegen China und Russland.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert Präsident Trump sprach 2015 in seiner Kampagne stets davon „Make Amerika great again“. Wer das sagt, ist sich bewusst, dass die Stellung der einzig verbliebenen Supermacht, die die USA noch 1992 hatten, verloren ging! In seiner Rede zur Amtseinführung beschwor Präsident Biden die Partner des Westens, zu mehr Geschlossenheit im Kampf, im Ausgrenzen, später relativierte er es, im Wettbewerb mit den globalen Antipoden China und Russland beizutragen. Wer das sagt, ist sich seines Kräftedefizites bewusst, diese Herausforderung nicht allein bewältigen zu können!
Aber wie ist dieses Bündeln der Kräfte zum Kampf/Wettbewerb mit den Rivalen China und Russland zu verstehen? Werden die Kapazitäten für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik für einen erfolgreichem geschäftlichen Nutzen eingesetzt oder geht das Bündeln der Kräfte des Westens überproportional in die militärische Stärkung? Wenn letzteres der Fall ist, nennt man das eine Kriegsvorbereitung! Wäre demzufolge diese Koalitionsvereinbarung in einen finalen Kampf zwischen den Demokratien und den autokratisch geführten Staaten einzubetten? Würde man sie dann aller Ideologie entkleiden, bliebe nur noch übrig, sie als ein Teil zur Klärung der Machtfrage auf dem Globus zu verstehen.
Das wäre ein Kampf wie vor über 2000 Jahren zwischen dem alten Imperium von Karthago und dem aufsteigenden Imperium von Rom, denn nur für einen gab es Platz in dieser Welt.
 
 
Thema: Menschenrechte ein Kompass oder mehr?
„Die Menschenrechte als wichtigster Schutzschild der Würde des Einzelnen bilden dabei unseren Kompass.“ (Koalitionsvereinbarung S 143)
Dem zitierten Satz, dass die Menschrechte einen Kompass bilden, ist nichts zu entgegnen, wenn allerdings die Werte von Demokratie, Freiheit und Menschrechte das Einfallstor zur Einmischung in die existenziellen Angelegenheiten andere Staaten, zur Änderung des dortigen Status quo werden, dann aber schon! Denn das wäre das praktizierte Ausschlagen des Erbes von der Politik der friedlichen Koexistenz.
Als 1975 Präsident Ford, Generalsekretär Honecker und Kanzler Schmidt zusammen die KSZE Akte von Helsinki unterschrieben, waren sie sich der Gegensätzlichkeit ihrer politischen Systeme bewusst, dennoch wurde die Akte unterzeichnet. Denn der Vorteil, mehr politische Stabilität in der Welt zu bekommen überwog! Übrigens, jeder der Drei wusste vom anderen, wie der jeweils andere seine politische Macht legitimierte, auch wie er Gewalt einsetzte. Heute sieht das anders aus. Im Namen von Freiheit, Demokratie und Menschrechte wird ausgegrenzt. Es ist schon interessant zu vergleichen wie oft vor 1990 Politiker des Ostens von den Politikern des Westens ausgegrenzt und mit Sanktionen belegt wurden und wie das ab ca. 2010 inflationär gehandhabt wurde.
 
Thema: Menschenrechte und Afghanistan
„Die Menschenrechte als wichtigster Schutzschild der Würde des Einzelnen bilden dabei unseren Kompass.“ (Koalitionsvereinbarung S 143)
Der Westen scheiterte kläglich in dem Bemühen einer Stammesgesellschaft, der afghanischen, seine Werte über zu stülpen, betrieb also eine Außen- und Militärpolitik die völlig an den realen gesellschaftlichen Bedingungen in dem Land vorbeilebte. Die dortige afghanische Regierung lebte nur, weil sie sich auf die Bajonette der NATO stützen konnte, also NATO weg, Regierung weg!
Der einfache Soldat im Dienst der afghanischen Armee von 2021 nahm dankend das Geld mit, aber er würde niemals seinen Stamm verraten, mit dem er leben muss, der Verrat an seinem derzeitigen Arbeitgeber, die Fahnenflucht, die war für ihn hinnehmbar.
Was der Westen da betrieb war mehr als Kompass, das wuchs sich aus zum Bilden einer Nation, als ob das ein Prozess wäre, den man gleich im Reagenzglas züchten könnte.
 
Thema: Menschenrechte China / Russland
Und nun ein neues, den Westen in seiner Existenz bedrohendes Abenteuer? Die Mehrheit der Chinesen steht hinter ihrer Führung, das gleiche gilt bei den Russen auch, d.h. diese Länder sind wehrhaft und können schon gar nicht in eine Demokratie wie Libyen oder Irak gebombt werden, was ja bisher auch keinen Erfolg brachte.
Was die Ukraine anbelangt, da gelang es der Maidan-Revolution von 2013/14 nicht, so wie es die Französische Revolution von 1789/99 mit ihren Landsleuten vermochte, die Mehrheit aller Ukrainer hinter sich zu versammeln. Die Französische Revolution war wehrhaft, die der Ukraine ist es nicht! Sie braucht EU und NATO, um sich behaupten zu können. Den Ostukrainern passte diese Revolution der Westukrainer, die Abkopplung von Russland nicht. Sie spalteten sich von dieser Bewegung ab. Es ist zu schlussfolgern, die Maidan- Revolution versandete. Die Einflussnahme Russlands auf diese Geschehnisse ist sicher unbestritten, so wie seinerzeit vor 2013 die EU durch ihren Kommissionspräsidenten Barroso die Ukrainer ultimativ aufforderte sich für den Weg in die EU zu entscheiden.
 
Die fundamentalen gesellschaftlichen Entwicklungen in einem Land können niemals von außen grundlegend beeinflusst werden, das sind hauptsächlich innere Prozesse.
Kanzler Kohl hätte mit seinem 10 Punkte Programm niemals eine Chance gehabt, wenn die DDR-Bevölkerung damals nicht zutiefst unzufrieden mit den Verhältnissen in der DDR gewesen wäre, aber zuerst mehrheitlich an eine Revolution zur Verbesserung der DDR dachte. Aber seine 10 Punkte stellten dann für viele DDR-Bürger eine viel attraktivere Verbesserung ihrer Verhältnisse in Aussicht, als sie dies in einer verbesserten DDR sahen.
Mit der Ukraine ist das nicht anders! Ohne eine fundamentale Zustimmung in breiten Kreisen der Bevölkerung in der Westukraine oder in der Ostukraine hätte sich diese gesellschaftliche Entwicklung hin zur EU oder weg von ihr, hin zu Russland, nicht stabilisieren können. Es ist naiv und unwissenschaftlich, weil ideologisch begründet, dem Einwirken des Auslands (Russland) für die gesellschaftliche Entwicklung in der Ostukraine die Hauptverantwortung anzulasten.
Der Westen fror den Konflikt mit dem Normandie-Format ein, in der Absicht, der Maidan-Revolution bei der Umsetzung ihrer Ziele Zeit zu verschaffen. Zur Lösung trug er damit aber nicht bei, im Gegenteil. Die Ziele der Maidan-Revolution und ihre Umsetzung konnten in den letzten Jahren keine Strahlkraft entfalten, um nun auch die Ostukrainer von sich zu überzeugen. So ist die Situation die, die heutigen Führer der Ukraine können diesen Konflikt nicht mehr selbst lösen, sondern nur noch internationalisieren, um sich ihrer Macht sicher zu sein. Deshalb internationalisieren sie den Konflikt so weit, wie sie können. Sie wollen, dass der Westen ihn löst, drängen deshalb in die NATO, um unter deren Schutz zu stehen. Sie brauchen US-Militär einschließlich der Waffentechnik auf ukrainischem Territorium.
Für Russland heißt das, die NATO rückt noch näher und das seit 1990 an sein Territorium heran. Die Ukraine füllt sich derzeit mehr und mehr mit Waffen aus dem Westen, auch mit Militärberatern. Um die rote Linie zu überschreiten, die Russland nun ziehen musste, fehlen nur noch reguläre NATO-Streitkräfte und auf Russland gerichtete US-Atomwaffen.
 
Aber in dieser konkreten Lage sollten wir im Westen zur Kenntnis nehmen, Russland steht jetzt mit dem Rücken an der Wand mit Blick auf die Zugewandtheit der Ukraine zum Westen! Das sollten alle „Härte und Diplomatie“- Redner dringend beachten, es sei denn sie wollen einen Präventivkrieg Russlands provozieren.
Atomraketen von der Ukraine nach Moskau geschossen, würden das Herz der Russen nach 2 Minuten pulverisiert haben. Als die USA 1962 in einer vergleichbaren Situation waren und von Kuba aus durch russische Atomraketen bedroht waren, da betrug die Zeit bis zur Pulverisierung Washingtons sechs Minuten. Aus diesem Grund, eines nicht mehr einzukalkulierenden Gegenschlages, waren die USA bereit sich auf einen nuklearen Krieg mit der Sowjetunion einzulassen! Die Welt hatte Glück und auf der amerikanischen wie der sowjetischen Seite gab es Spitzenpolitiker, für die solch ein Krieg nicht einmal die Ultima Ratio war!
Präsident J.F. Kennedy ließ die Welt in der Kuba-Krise wissen, dass sich die USA durch sowjetische Atomraketen existenziell bedroht sieht, 6 Minuten Flugzeit bis nach Washington. Präsident Putin ist jetzt in der gleichen Situation. Jetzt sind es nur noch zwei Minuten bis zum Einschlag in Moskau. Es ist korrekt, die Raketen stehen scheinbar noch nicht in der Ukraine. Aber wenn Russland sie ausgemacht hat, bleibt Russland nur noch der Präventivschlag gegen die Ukraine, so wie es die USA 1962 gegen Kuba vorhatten, um die dortigen Raketen zu zerstören. Wäre es nicht zwischen den beiden Staatoberhäupter Kennedy und Chruschtschow zu einem die Lage entspannenden Interessenausgleich gekommen, würde heute keiner der Politiker, Journalisten oder Politikberater existieren oder geboren sein. Das ist das Generationenproblem der heutigen Politiker, sie können sich nicht in die Lage des anderen hineinversetzten, da ist ihre Ideologie vor!
Übrigens hätten die beiden Staatsoberhäupter nicht so frei von Ideologie reagiert, US-Außenminister Antony Blinken wäre nicht älter als ein halbes Jahr geworden! Es bleibt zu hoffen, dass nicht unreifes Handeln der Globalstrategen in den USA sich durchsetzt, zumal einer Nation, die schon einmal und als einzige Nation in der Welt, leichtfertig Atomwaffen in einem Krieg eingesetzt hat.
 
Wie die Koalitionsvereinbarung uns wissen lässt, die derzeitige Generation an Politikern, Politikberatern und Journalisten hat das Erbe von der Politik der friedlichen Koexistenz ausgeschlagen. Diese Koalition verfügt auch über genügend ideologische Eiferer, nach deren Meinung die Welt so zu sein hat, wie sie sich diese denken und wer davon abweicht gehört bestraft. Und somit wird die Koalition dazu verdammt sein, sich dieses Erbe neu erwerben zu müssen! Vorausgesetzt zur Bewältigung dieses Generationenproblems hat die Menschheit ein 2. Mal Glück, so wie in der Kubakrise.
Unter den heutigen globalen Bedingungen, in der Konstellation von Demokratien und autoritär geführten Staaten, ist die „Politik der friedlichen Koexistenz“ ebenso alternativlos, wie sie es zur Zeit des Kalten Krieges war. Es sei denn, man bevorzugt zum Aufhalten der Erderwärmung die Herbeiführung des nuklearen Winters.
 
Der Kampf gegen die Erderwärmung – war das nicht schon immer ein zutiefst eigenes Thema der Grünen?
 
Summa summarum, eine werteorientierte Außenpolitik bewirkt eine Kriegsgefahr – ist abzulehnen. Die Politik der friedlichen Koexistenz ist fortzusetzen!

Published by Carsten Bluck

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